Am liebsten würde ich nach dem Urlaub tiefenentspannt in die neue Arbeitswoche starten. Doch schon in der Nacht davor schlafe ich besonders unruhig. Wacht ihr auch schon vor dem Wecker auf, vor lauter Angst, zu verschlafen?
Wir kommen gerade aus einem sehr schönen Urlaub an der Nordsee zurück – als Viertel-Ostfriesin ist es dort für mich immer wie nach Hause kommen. Möwen, Ostfriesentee mit Kluntje, Strandkorb, Blick auf die Inseln – Herrlich!
Und nun ist der Urlaub vorbei, die Koffer ausgepackt, die Waschmaschine im Marathon gelaufen und der erste Montag steht vor der Tür. In der Nacht wache um 3 auf und denke: Ich hab was wichtiges vergessen! Und um 4: Was ist los, wo bin ich? Und um 5: Ok, bleib ich jetzt einfach wach, um den Wecker nicht zu verschlafen?
Im Halbschlaf fällt mir ein: Moment, ich arbeite inzwischen in meinem absoluten Lieblingsjob. Ich habe mir den Vormittag freigehalten um wieder rein zu kommen. Es kann nichts schief gehen. Selbst wenn die Kinder gar keine Lust haben auf Kita und alles lange dauert – es wäre ok, dann kommen wir halt später.
Die Psychologin in mir wird neugierig. Es gibt objektiv keine Stressfaktoren. Also, warum bin ich so nervös?
Warum ist mein Nervensystem so aufgeregt?
Meine Schlussfolgerung: Mein Nervensystem reagiert aus einer tief eingravierten Gewohnheit heraus.
Angst vor dem ersten Arbeitstag oder ersten Schultag nach den Ferien. Das Gefühl, nicht zu wissen, was auf mich zu kommt, was ich verpasst habe, und dass sich ein riesiger Berg an Arbeit aufgestaut hat. Das kenne ich seit Jahrzehnten!
Meistens ist es gar nicht so schlimm, aber der Kontrast zwischen der Ruhe des Urlaubs und dem Tempo des ersten Tages scheint meinen Körper schon in der Nacht vorher unter Strom zu setzen.
Heute frage mich: Was ist Henne, was ist Ei? Ist mein Körper gestresst, weil ich Stress erwarte? Mich mental auf unangenehme Überraschungen vorbereite?
Oder, in diesem Fall wahrscheinlicher: Reagiert mein Körper einfach aus Gewohnheit gestresst, und mein Gehirn produziert all diese Interpretationen ganz ohne reale Grundlage: Es könnte etwas schiefgehen, du könntest zu spät kommen, etc?
Der Gedanke „Morgen geht die Arbeitswoche wieder los“ hat schon gereicht, um in meinem Körper eine ganze Reihe von Gewohnheiten und Reaktionen auszulösen, die er über die Jahrzehnte antrainiert hat. Und die er jetzt, im wahrsten Sinne, im Schlaf abspult.
Der Zustand des Körpers beeinflusst, wie wir denken
Körper und Psyche sind nicht getrennt. Unser Gehirn ist ein Organ. Und es ist durch Milliarden Nerven mit dem ganzen Körper verbunden.
Es gibt eine Reihe von spannenden Experimenten, die zeigen, dass unser Körper einen starken Einfluss darauf nimmt, wie wir denken und unsere Umwelt interpretieren. So fühlen wir uns zum Beispiel selbstbewusster, wenn wir uns stabil hinstellen und rein körperlich mehr Raum einnehmen. Die Sozialpsychologin Amy Cuddy hat über diese „Powerposes“ einen unterhaltsamen TED Talk gehalten.
Ähnliches geschieht, wenn Menschen eine Minute einen Bleistift mit den Zähnen im Mund halten, sodass sie automatisch die Mundwinkel hoch ziehen. Diese Muskelbewegung, die man auch beim Lachen macht, verbessert die Stimmung – die Probanden fanden Comics hinterher witziger.
Das Gehirn als Radio
Diese Experimente aus der Sozialpsychologie sind besonders anschauliche Beispiele dafür, dass unser Körper die ganze Zeit einen mächtigen Einfluss auf unsere Wahrnehmung nimmt (noch mehr kannst du hier lesen). Inzwischen wissen wir, dass das Nervensystem unterschiedlich arbeitet, wenn wir ruhig sind und eine Welle von Körperreaktionen auslöst, wenn wir gedanklich oder aufgrund von realer Gefahr in Stress geraten.
Es ist, als ob dein Körper ein Radio wäre. Dein Nervensystem ist der Empfänger. Je nachdem, welche Signale es im Körper empfängt, entsteht eine andere „Sendung“ im Gehirn: Sicher und verbunden, gestresst, verärgert oder verzweifelt und hilflos. Das Gehirn gibt diesem Muster aus elektrischen Signalen einen Sinn und packt ihn in Worte. Dabei reimt es sich einfach zusammen, was ihm naheliegend vorkommt. Das muss nicht die wahre Ursache sein!
Und um ganz sicher zu sein, dass uns nichts passiert, darf sozusagen der „Staufunk“ immer unterbrechen. Kommt also eine Gefahrenmeldung rein, wird die als besonders wichtig in den Vordergrund gestellt.
In meinem Beispiel: Das System schläft. Mein Gehirn ist aus Gewohnheit etwas aufgeregt = aktiviert. Dadurch schaltet das Gehör nicht so tief ab wie sonst, sondern achtet auf mögliche Gefahr. Irgendwo draußen raschelt vielleicht etwas, es ist heiß. Ich komme in den Halbschlaf. Mein nervöses Gehirn springt sofort an, weckt mich und gibt dem ganzen die Bedeutung: „Pass bloß auf, dass du nicht verschläfst! Morgen musst du arbeiten!“
Wie kann ich aus dieser stressigen „Sendung“ aussteigen?
Zum Glück kann man den Spieß auch umdrehen. Hast du mal versucht, dich mit Worten wieder zu beruhigen? „Es ist erst fünf, du hast noch viele Stunden Zeit bis zur Arbeit…“ Funktioniert das für dich? Schreib doch mal in die Kommentare, es würde mich sehr interessieren.
Bei mir funktioniert das etwa so gut, als würde ich versuchen, ein Buch zu lesen und gleichzeitig ein anderes Hörbuch hören 🙉. Was schon besser geht, ist meine Gedanken auf etwas angenehmes und entspannendes zu richten. Zum Beispiel in das Gefühl einzutauchen, im Strandkorb in der Sonne zu liegen.
Warum funktioniert das? Weil es die körperliche Wahrnehmung mit einbezieht. Je mehr Sinne wir ansprechen, desto stärker wird die Aktivierung dieser Erinnerung oder Vorstellung im Gehirn und desto überzeugender findet unsere Psyche dieses Szenario.
Dank der aktuellen Forschung rund um Embodiment, sensorischere Therapie und Polyvagal Theorie gibt es inzwischen auch ganz gezielte Übungen, um das Nervensystem wieder daran zu erinnern, dass wir gerade ruhig und sicher in unserem Bett liegen. Zum Beispiel bestimmte Augenbewegungen wie bei EMDR, es gibt Musik, die die Hörmuskeln so aktiviert, dass sich das System beruhigt, oder sanfte Massagen.
Das hat mir extrem geholfen, heute wieder einzuschlafen und etwas entspannter in den Tag zu starten.
Mit einem ruhigen Nervensystem haben wir einen anderen Blick
Das meine ich tatsächlich wörtlich: Wenn unser Nervensystem ruhig und sicher ist, haben wir einen weiteren Blick. Wenn wir angespannt sind, engt sich unser Blickfeld auf einen kleinen Fokus ein. Deshalb findet man die Schlüssel immer dann nicht mehr, wenn man eh schon spät dran ist!
Aber auch unsere gesamte Interpretation ändert sich. Wir nehmen wieder die kleinen schönen Dinge wahr und es entsteht eine positive Spirale. Mit ruhigem Nervensystem senden wir unbewusst auch an andere das Signal: Hier bist du sicher und willkommen. Und sie reagieren darauf positiver, ohne es zu merken.
So passierte heute bei uns das kleine Wunder, dass ich ziemlich entspannt in den ersten Montag starten konnte. Und die Kinder, davon angesteckt, tatsächlich pünktlich und fröhlich in der Kita ankamen. So easy habe ich sie glaube ich noch nie abgegeben. Das nennt sich „Co-Regulation“: Unser Nervensystem nimmt Einfluss auf die Regulation der Menschen um uns herum. Und umgekehrt.
Das schöne daran: Das ruhigere Nervensystem hat eine stärkere Wirkung als das gestresste. Und wir können bewusst Einfluss nehmen, wenn wir uns selbst im Blick haben. Statt im Autopilot auf Stress zu schalten, können wir unser Radio mit solchen Mikro-Übungen wieder in ein harmonischeres Programm zurück führen.
Zusammengefasst
Nach meinem Ostfriesland-Urlaub frage ich mich: Warum schlafe ich vor dem ersten Arbeitstag so unruhig, obwohl objektiv im Moment kein Stress besteht?
- Mein Körper reagiert aus einer Gewohnheit heraus: Seit Jahrzehnten bin ich nervös vor dem ersten Tag nach den Ferien. Jetzt macht mein Körper es einfach alleine, ohne Grund
- Ob unser Nervensystem sich sicher fühlt, beeinflusst, wie wir unsere Umgebung wahrnehmen und welche Gedanken wir formen
- Wir können unseren Körper mit sanften und schnellen Mikro-Übungen dazu einladen, sich wieder sicher und wohl zu fühlen. Eine davon findest du im nächsten Absatz.
- Wenn wir uns sicher und verbunden fühlen, reagieren andere Menschen positiver auf uns – weil unsere Nervensysteme unbewusst kommunizieren.
- Das Nervensystem wirkt wie ein Radio. Je nachdem, was es empfängt (wahrnimmt), spielt es eine andere „Sendung“ und funkt sie über unseren Körper, Gedanken, Emotionen und Gesichtsausdruck nach innen und außen
- Wenn wir uns sicher und verbunden fühlen, reagieren andere Menschen positiver auf uns – weil unsere Nervensysteme unbewusst kommunizieren.
Wusstest du: Urlaub kommt von „Erlaubt“
Das althochdeutsche Wort „Urloup“ heisst so viel wie „Erlaubnis“. Kannst deinem Nervensystem immer mal wieder einen Mikro-Urlaub zu erlauben?
Blitzschnelle Übung: Mikro-Urlaub
Nimm dir hin und wieder 30 Sekunden, um dir mit allen Sinnen deinen Lieblingsmoment im besten Urlaub aller Zeiten vorzustellen. Was würdest du dort
– sehen,
– hören,
– schmecken,
– riechen,
– tasten?
Diese Sinneswahrnehmungen aktivieren andere Gehirnregionen – selbst, wenn wir sie uns nur vorstellen. Sie können damit Stress und eingeengte Gedanken unterbrechen. Je deutlicher du dir die Situation vorstellst, desto eher reguliert sich auch dein Nervensystem wieder in einen sicheren und entspannten Modus.
Wenn du noch mehr Tipps bekommen möchtest, kannst du dich für meinen gratis Mini-Kurs anmelden. Alle zwei Tage bekommst du eine Mail mit Tipps rund um das Nervensystem und die Arbeit mit inneren Stimmen, die dir helfen, aus dem Gedankenkarussel auszusteigen und deinen Körper effektiv beruhigen.
Bald erscheint auch meine Checkliste für den Sommer – „Wie du dich im Urlaub wirklich erholst, nicht nur verreist“ . Melde dich für den Newsletter an, wenn du sie direkt bekommen möchtest, sobald sie fertig ist!
Wenn du tiefer einsteigen möchtest und mehr als nur einen Mikrourlaub brauchst, ist vielleicht mein intensives 1:1 online Coaching etwas für dich.
Wie bereits oben gesagt, freue ich mich extrem über Kommentare. Sie helfen dir, einen Gedanken zu formulieren und mitzunehmen. Sie helfen mir, zu schreiben, was DICH wirklich interessiert. Und sie helfen auch dem Blog, sichtbarer zu werden.
Was nimmst du mit? Hast du noch eine Frage? Wohin gehts in deinem nächsten Urlaub?
Schreib es mir gerne in die Kommentare!
Habe einen wundervollen Start in die neue Woche!
Herzliche Grüße und Moin Moin,
Das könnte dich auch interessieren:
Liebevoll Nein sagen – für mehr inneren Frieden
Nein sagen fällt uns oft schwer – dabei kann es so wohltuend sein. Für dich, deine Konzentration und deinen Seelenfrieden. Und auch für die Menschen, die dadurch lernen, was du wirklich möchtest.
So gelingt Veränderung ohne Druck
Dieser Artikel ist Teil der Myth-Buster Serie. Hier nehme ich hartnäckige psychologische Mythen genauer unter die Lupe und klopfe ab, was wirklich dran ist! Dafür habe ich euch gefragt, welche Sätze sich für euch…
Dieses Jahr gehe ich als NEINhorn
Was in meinem Leben passiert ist, seit mir das Nein-Sagen geradezu magische Kräfte und verleiht. 🌈
Selbstmitgefühl und Mut: Mein Jahr 2023
Selbstmitgefühl und Mut sind kein Widerspruch, sondern zwei Beine, die du brauchst, um kraftvolle und beständige Schritte vorwärts zu gehen.
3 Tipps für einen sanften Start in die Woche
Starte sanft und motiviert in deine Woche mit diesen drei wirkungsvollen Ritualen.
2 gute Alternativen zu Neujahrs-Vorsätzen
Warum ich mir dieses Jahr keine Ziele gesetzt habe – und was ich stattdessen als Orientierung für mich nutze.
Liebe Maren,
die Erfahrung habe ich auch schon gemacht – das gilt nicht nur für den ersten Arbeitstag nach dem Urlaub, sondern auch für Montags nach dem Wochenende. Danke für die Erinnerung – ich werde das heute mal beherzigen und wieder ausprobieren 😊
Viele Grüße
Monika
Liebe Monika, wie schön, dass du etwas für dich mitnehmen konntest! Ich wünsche dir viel Spaß und schöne Momente beim Ausprobieren!
Hab einen guten Start in die neue Woche!
Maren
Pingback: 3 Tipps für einen sanften Start in die Woche - Maren Häde