Wir haben einen etwas chaotischen, kleinen Garten. Ich liebe dieses Stück Erde, gerade weil es so hartnäckig an seiner wilden Natürlichkeit festhält. Ein paar Jahre lang habe ich versucht, es zu zähmen, doch mir fehlte Wissen, Zeit und Geld, um alles von Grund auf ordentlich zu machen. Und irgendwie wollte ich das auch gar nicht. Ich mag den Gedanken, die Pflanzen, die dort sind, zu bewahren. Unsere freundliche Nachbarin hat sie vor Jahren mit Liebe gepflanzt. Doch seit sie sich im Alter nicht mehr so sehr kümmern kann, eroberte sich die Natur den Garten langsam zurück.
Während der Pandemie habe ich entdeckt, dass es mir gut tut und Spaß macht, im Garten gemeinsam mit der Natur Kompromisse zu finden – zwischen Wildheit und Pflege, Unkraut und Blüten, pflanzen und jäten. Einer der Höhepunkte war für mich die Entdeckung von Dahlien, die letztes Jahr prächtig wuchsen. Ich war ganz schön stolz. Manche der vielen Blüten waren so groß wie Frühstücksteller.
Allerdings vertragen Dahlien keinen Frost. Und so habe ich die mexikanischen Schönheiten über Winter im Keller eingelagert, und im Frühjahr wieder herausgeholt.
Keine Angst, das wird hier kein Eintrag aus dem botanischen Lexikon. Aber vielleicht kennt jemand von euch diese ganz eigene Freude, wenn man eine kleine Knolle eingetopft hat, und am Ende des Jahres ein ganzes Bündel von Knollen aus der Erde holt. Es ist einfach ein befriedigendes Gefühl. Vielleicht sollte ich es nochmal mit Kartoffeln versuchen 👩🌾
Mit schwarzem Daumen im wilden Garten
Leider erlebte ich jetzt genau das Gegenteil, als ich die Dahlien im Frühling wieder auspflanzen wollte. Die Knolle, die am prächtigsten geblüht hatte, war über Winter komplett verschrumpelt. (Ok, das war jetzt wirklich das letzte Mal, dass ihr das Wort „Knolle“ lesen müsst!)
Ich war enttäuscht, aber ich wollte auch so leicht aufgeben. Also habe ich sie eine Weile in Wasser eingelegt. Was nichts geholfen hat. Es gab kein Zeichen von Leben an ihr. Ich habe sie trotzdem eingepflanzt. Und ein paar Tage lang gegossen und gedüngt. Einfach, weil ich keine Lust hatte, von meinem Plan abzuweichen. Alle anderen Pflanzen zeigten inzwischen erste Triebe. Bei meiner Lieblingspflanze regte sich … gar nichts. Etwa einen Monat später waren alle anderen Blumen schon herangewachsen. Mein Lieblingstopf war immer noch komplett kahl. Na gut. Dann muss ich sie halt wegschmeißen. Einen Versuch war es wert.
Auf dem Markt schaute ich mich hin und wieder um, aber fand keinen schönen Ersatz. Außerdem regnete es ständig. Der leere Topf musste also warten und ich widmete mich anderen Dingen.
Und dann, Anfang dieser Woche, zwei Monate nach dem Pflanzen und einen Monat, nachdem ich akzeptiert hatte, dass die Knolle wirklich tot ist, fand ich einen winzigen Trieb, der aus der Erde spitzte.
Sturheit und Hoffnung
Dieser Moment war total unerwartet. Nicht nur, dass mich die Pflanze überrascht hat. Unerwartet war auch, wie sehr mich die Entdeckung berührt und ins Nachdenken gebracht hat. Welche anderen Ideen habe ich bereits aufgegeben und für „Müll“ erklärt? War das vielleicht vorschnell? Hätte ich nur etwas mehr Geduld gebraucht?
Ich war erstaunlich dankbar, dass ich zu abgelenkt war, um der Natur zuvor zu kommen und die Pflanze zu ersetzen. Und fand ich es einfach cool, dass dieser kleine Trieb, völlig unbeeindruckt von meinen Gedanken, stur, still und leise sein Ding gemacht hat. In seinem eigenen Tempo. Mit der kleinen Kraft, die er hatte. Und er wächst weiter. Inzwischen hat er eindeutig Dahlien-Blätter. Es ist also kein Unkraut 😅.
Diese kleinen Momente der Verbindung mit der Natur zu erleben, festigt in mir eine Hoffnung, die über Optimismus, Glück und gute Planung hinaus geht. Die Pflanzen und Tiere um mich herum erinnern mich daran, dass alles seinen Rhythmus hat und Zeit braucht. Es wird noch dauern, bis ich die großen Blüten der Dahlie bestaunen kann, aber ich freue mich jetzt schon darauf. Umso mehr, weil ich gar nicht mehr damit gerechnet hatte.
Und dann wird der Winter kommen, die Blätter fallen ab, die Kraft der Pflanzen konzentriert sich in den Wurzeln. Alles sieht tot aus, aber ich werde umso sicherer wissen: Sie werden im Frühling wieder mit neuer Kraft austreiben. Wir werden wieder Blüten sehen. Ich darf eine begründete Hoffnung haben, auch wenn ich jetzt noch keine Beweise dafür habe.
Es ist eine Erleichterung, zu sehen, dass die Natur nicht dauerhaft „produktiv“ ist. Es gibt Phasen des Wachstums und der Blüte. Monate mit Früchten und Monate der Erholung. Es tut mir gut, mich daran zu erinnern, weil ich dazu tendiere, dauerhaft schöne Blüten und saftige Früchte an meinen Projekten sehen zu wollen.
November: Update aus dem Garten
Meine totgeglaubte Dahlie hat mich den ganzen Sommer über vor meiner Haustür begrüßt und tatsächlich diese Woche in ihrem eigenen Tempo eine wunderschöne, riesengroße Blüte entfaltet. Ich freue mich mehr darüber als über all die anderen schönen, fleißigen Blüten zusammen. Dann irgendetwas mir feiert jeden Tag diese Pflanze, die sich einfach nicht beirren lässt.
Was möchte in meinem Leben aufblühen?
Wenn es dir auch gut tut, dich an den Rhythmus der natürlichen Welt zu erinnern, magst du vielleicht mehr dazu lesen. Sehr angenehm, ehrlich und berührend fand ich diese Bücher:
- Wintering von Katherine May (auf deutsch: Überwintern – Wenn das Leben innehält)
- All Along You Were Blooming von Harper Morgan Nichols.
- Vielleicht magst du auch auf dem Blog nach mehr Metaphern für eine neue Perspektive stöbern?
Zum Ende gebe ich dir drei Fragen mit, die ich aus dieser Entdeckung mitgenommen habe:
- Welche Hoffnungen hast du vielleicht zu früh begraben? Ist es möglich, dass sie im Dunkeln still und leise noch lebendig sind?
- Wo in deinem Leben wäre es hilfreich, bestimmten Gedanken und Urteilen NICHT zu folgen, auch wenn sie sie oberflächlich richtig vernünftig klingen? Wo fühlt es sich richtig an, einfach noch etwas Geduld und Sturheit zu haben und zu schauen, was sich von sich selbst heraus entwickelt?
- Welche Wünsche und Träume kommen immer wieder zu dir zurück, egal wie tief du sie vergräbst? Was möchte in deinem Leben aufblühen?
Welche Gedanken löst diese Geschichte von der Dahlie in dir aus? Teile es gerne in den Kommentaren. Oft glauben wir gar nicht, wie wertvoll die Gedanken, die uns ganz normal erscheinen, für andere sein können.
Bleib neugierig,
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Liebe Maren
Danke für diesen berührenden Eintrag! Ja, das erinnert auch mich an den Satz eines mir sehr wertvollen Lehrers, der von „sinnstiftender Beharrlichkeit“ gesprochen hat.
Deine 3 Fragen werde ich mit in meinen Urlaub nehmen, ebenso wie das tolle e book! Vielen herzlichen Dank
Alles alles Gute Dir!
Meike
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