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Das unsichtbare Geschenk

Eine gute Frage kann alles verändern. In einer Szene, die mehr nach Theater als nach Therapie aussah, wurde mir vor 10 Jahren so eine Frage gestellt. Seitdem habe ich eine Superkraft entwickelt: Verborgene Geschenke erkennen!
Heute teile ich eine Reflexion über diesen prägenden Moment und die Reise, die darauf folgte. Von der Fähigkeit, Konflikte zu entschlüsseln, über die Kunst, Lebensgeschenke zu erkennen, bis hin zu guten Fragen als Form der Selbstfürsorge.

Die Magie einer guten Frage

Ich stehe in der Mitte des Raumes – alle Augen auf mir. Überrascht und überwältigt von den Tränen, die ich kaum zurück halten kann. Mein Körper will abhauen, aber das geht nicht. Die Wut beginnt, mir den Hals zuzuschnüren. Hilflos blicke ich mein Gegenüber an – sie wirkt unentschlossen. 

Plötzlich sagt eine klare Stimme: „Kannst du das Geschenk sehen, das er versucht, dir zu machen?“ 

Alle Augen wenden sich zu Gabriele – unserer Lehrtherapeutin. Gerade haben wir die Konfliktszene eines Elternpaares nachgespielt. Doch die Gefühle, die bei uns entstehen, sind echt. Die Verzweiflung, nicht verstanden zu werden. Die Frustration, falsche Motive unterstellt zu bekommen und die Wut, sich zu Unrecht angegriffen zu fühlen.

Alle sind still, etwas verwirrt. Geschenk?

Eine Hand geht hoch.

„Ich glaube, er möchte seine Frau wirklich unterstützen. Aber er ist wütend, weil er es nicht ausdrücken kann. Und weil sie die Art von Unterstützung, die er ja wirklich anbietet, gar nicht so erkennt. Und sie verteidigt sich immer weiter, weil sie nur noch seine Wut sehen kann.“

„Ich glaube, er reagiert so stark, weil er richtig Angst um die Beziehung hat. Ich sehe das Geschenk darin, dass er sie auf seine Art wirklich liebt. Er will ihr wirklich was anbieten – er weiß nur nicht, wie er das machen soll.“

Ich, in der Rolle des Mannes, aber auch ganz real in meinem Körper, spüre sofort Erleichterung und Dankbarkeit. Endlich sieht es jemand! Endlich verstehst du mich. Ich atme tief auf. 

Sofort ändert sich die Atmosphäre im ganzen Raum. 

Das Geschenk des „Gesehen Werdens“

Mit meinem Wissen von heute weiß ich: Durch das Benennen des Geschenks und dass es sich authentisch anfühlt, atmen wir alle auf. Die Nervensysteme aller Anwesenden regulieren sich spontan.

Wir wiederholen die Frage auch nochmal für die Rolle der Frau. Danach kann ich meiner „Ehefrau“ wieder in die Augen schauen. Die Wut verraucht. Ich kann sagen: „Ja, das stimmt. Ich liebe dich. Und ich möchte dir helfen. Aber ich weiß nicht, wie. Ich schäme mich. Ich hab Angst, dass du mich verlässt.“ Auch sie wird weicher. Ein neues Gespräch wird möglich. Am Ende sind wir beide müde, aber erleichtert.

Dieser Moment in meiner Psychotherapeutenausbildung ist mir eindrücklich in Erinnerung, obwohl er schon über 10 Jahre her ist.

„Kannst du das Geschenk sehen, das er versucht, dir zu machen?“ 

Der Satz begleitet mich seitdem. Und er hat viel für mich verändert.

Die Geschenke des Lebens erkennen

Später echote diese Frage auch in vielen anderen Situationen:

  • Kann ich das Geschenk sehen, das das Leben versucht, mir zu machen? Auch wenn es gerade wirklich nicht danach aussieht?
  • Kann ich das Geschenk sehen, das mein Körper versucht, mir zu machen? Auch wenn es sich gerade eher unangenehm anfühlt?
  • Kann ich das Geschenk sehen, das meine inneren Anteile versuchen, mir zu machen? Selbst der Kritiker, selbst der Schweinehund?

Ja: Es ist möglich. Plötzlich konnte ich überall Geschenke erahnen und wurde richtig neugierig, sie aktiv zu suchen. Ich fand sie in erstaunlichen Situationen: einer verpatzen Prüfung, bei der ich erleben durfte, wie hilfsbereit und geduldig Freunde mit mir den Stoff nochmal durchgingen, bis ich wirklich ganz sicher war. Die Nachhol-Prüfung, bei der normalerweise der Druck ja eher steigt, war meine entspannteste Klausur im ganzen Studium: weil ich mich so unterstütz gefühlt habe.

Ich erkannte Geschenke in meiner Wut (sie zeigt mir meine unverhandelbaren Werte und Grenzen), meiner Introvertiertheit (eine Einladung für mehr Ruhe und Tiefgang), meinen oftmals überreizten Antennen, meinen inneren Kritikern. 

Anstatt meine Reaktionen zu verurteilen und als störend oder zu dünnhäutig abzulehnen, begann ich den Sinn und die positive Botschaft dahinter zu verstehen. 

Jedes Mal öffnete sich ein kleines Türchen, ein frischer Blick.
Und wenn man das Geschenk erstmal erkannt hat, ist es schwer, es beim nächsten Mal zu übersehen.

Eine gute Frage ist ansteckend

Diese Fragen und die psychologischen Zusammenhänge dahinter zu kennen, ist für mich ein enormes Geschenk.

Ich konnte nicht aufhören, mein Erstaunen und meine Begeisterung darüber mit den Menschen in meinem Leben zu teilen. Und nach und nach begann sich auch etwas in ihnen zu regen. Eine Neugier. Eine gewisse Weichheit, wo vorher Frust und Härte war. Ihre Sprache begann sich zu ändern, ihre Ausstrahlung. Es kam im wahrsten Sinne ein gewisses Leuchten zurück. Das zeigte mir: Gute Fragen sind ansteckend, und ihre Wirkung ist es auch.

In der Ausbildung durfte ich fundierte Methoden lernen, um diese Geschenke gemeinsam mit meinen Klienten aufzudecken. Das ist das Lieblingsstück meiner Arbeit und des Coachings. 
Ich auch heute jedes Mal Schmetterlinge im Bauch, wenn ich sehe, wie Menschen den Weg zurück zu einer Freundschaft mit ihrem Körper und ihrem „wahren“ Wesen finden.

Dafür bedarf es manchmal Hilfe von außen. Aber du kannst den Anfang auch selbst gehen! Vielleicht können diese Fragen deinen Blick in eine neue Richtung lenken?

  • Gibt es an Weihnachten Situationen oder Personen, auf die du keine Lust hast? Die du ablehnst?
  • Wie reagiert dein Körper darauf? Welches Geschenk versucht diese Körperreaktion dir zu machen?
  • Wo lädt dich dein Körper ein, deine Grenzen klarer zu beachten?
  • Kannst du dir vorstellen, darüber nachzudenken, welches Geschenk dir das schwierige Familienmitglied eventuell (unbewusst) machen möchte?
  • Sagt er/sie eventuell etwas über sich selbst aus, das gar nichts mit dir zu tun hat?
  • Was würde sich in genau dieser Situation für dich gut anfühlen? Wo sind bei dir noch Wünsche offen?

Klare Grenzen sind auch Geschenke

Ich möchte aber auch ganz klar sagen: Dass wir uns sicher und positiv mit anderen verbunden fühlen und sogar in schwierigen Momenten ein unsichtbares Geschenk finden, ist nicht immer möglich. Und schon gar nicht selbstverständlich.

Es erfordert 2 Voraussetzungen:

  1. Dass du in einem sicheren Umfeld bist.
  2. Dass du bereit bist, für dich selbst Verantwortung zu übernehmen.

In einem Umfeld, in dem aktiv unsere Grenzen überschritten oder unsere Würde verletzt wird, ist es nicht sinnvoll, sondern kann es sogar schädlich sein, nach Geschenken zu suchen.
Wenn du dich in deiner Herkunftsfamilie (oder einem anderen Umfeld) emotional NICHT sicher fühlst, kann es sein, dass dein Körper dir ganz klare Grenzen zeigt. Die gilt es ernst zu nehmen.

Die Verantwortung für deine Grenzen zu übernehmen, kann ebenfalls ein großes Geschenk sein, dass du dir machst – auch wenn es anderen schwer fällt, das zu akzeptieren. Auch wenn es sich neu anfühlt oder manche deiner inneren Anteile verunsichert.

„A boundary is a kindness“, eine Grenze ist ein Ausdruck von Freundlichkeit, schreibt Melissa Urban in The Book of Boundaries. Denn für eine Beziehung ist es viel schädlicher, sich permanent zu verstellen oder Verletzungen hinzunehmen, die dann über die Zeit vor sich hin gären und zu Groll oder gar Verachtung werden.
Eine wohlwollende, aber deutlich ausgesprochene Grenze schafft Klarheit für alle beteiligten über die wahren Bedürfnisse. Mit emotional reifen Personen lassen sich diese Bedürfnisse meistens klären, Verständnis entsteht und die Beziehung wird danach für beide Seiten angenehmer.

Wenn du dabei Hilfe brauchst, melde dich bei mir, bei einer sicheren Freundin, Coach oder Psychotherapeutin.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft – auch zu mir selbst.

Selbstfürsorge bedeutet für mich genau das: darauf zu achten, wie es mir gerade geht. 
Indem ich mir hin und wieder einen Moment nehme und mich frage: „Welche kleine Aufmerksamkeit oder welcher Perspektivwechsel könnte heute einen Unterschied bewirken?

Wenn du das Geschenk entdeckt hast, wirst du es spüren. Du wirst plötzlich einen ganz neuen Weg sehen, die Erleichterung in deinem Körper spüren und neugierig werden.

Eine Klientin sagte nach einem Kurzcoaching einmal mit einem breiten Lächeln zu mir: „Maren, es ist unglaublich: Ich freue mich fast auf meine nächste ‚Krise‘, weil ich unbedingt ausprobieren will, ob das klappt.“
Bingo. Sie hatte ihr Geschenk gefunden.

Genau wie bei echten Geschenken geht meistens nicht um die Sache selbst. Es geht darum, Gesehen werden. Um das Verständnis und die Liebe, die in der kleinen wie in der großen Geste steckt. In Freundschaften zu anderen Menschen genauso wie in der Beziehung zu mir selbst.

Gemeinsam die verborgenen Geschenke entdecken

Bin ich deshalb immer tiefenentspannt und im reinen mit mir? Schön wär‘s 😂 meine Familie kann das nur allzu gut bezeugen.
Aber ich bin gefestigter in den Schritten, die ich gehen kann, um im Chaos ein Geschenk zu finden – oder mir aktiv mit einer guten Frage selber eins zu machen. Nach über 10 Jahren habe ich eine unschlagbare Intuition entwickelt, versteckte Geschenke aufzuspüren. Für mich – und unheimlich gerne auch mit anderen.

Hast du Lust, auch für dich die versteckten Geschenke bewusster zu entdecken?
Hast du Lust, darüber einfach im Gespräch zu bleiben?

Dann lass uns das Gespräch doch ganz real fortsetzen. Lass uns konkret werden und schauen, was DU 2024 für dich auspacken kannst. 

Ich freu mich darauf.

stellt gerne gute Fragen: Maren Häde

PS: Dieser Blogartikel entstand, als ich eigentlich einen Newsletter schreiben wollte. In meinen wöchentlichen Care-Paketen teile ich jeden Freitag Inspirationen rund um Selbstfürsorge und Einblicke in meine Selbst-Experimente, wo ich persönlich ausprobiere und teile, was für mich funktioniert und was nicht.

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