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Wovon Psychologinnen schwärmen… Internal Family Systems

Was ist Internal Family Systems (IFS) und warum sind immer mehr Menschen so begeistert davon?

Ein kleiner Spoiler vorab: IFS kommt ursprünglich aus der Psychotherapie. Die Aha-Momente dabei sind allerdings für jeden Menschen spannend. Sie könnten auch deine Sicht auf so manches Problem radikal verändern. Erkennst du das, was du hier liest, (in etwas milderer Form) vielleicht bei dir selbst?

Trigger-Warnung: Auf die Symptomatik wird bewusst nicht nicht tiefer eingegangen, vielmehr auf die Lösungen, die sich aufgrund der besonderen Sichtweise einer Patientin mit Essstörungen entwickelten. Dennoch wird das Thema angesprochen. Wenn dies für dich problematisch ist, solltest du die kursiv gedruckten Absätze über die Entstehung von IFS überspringen.

Ansteckende Begeisterung

Wer in Deutschland Psychologie studiert, lernt Diagnostik, Fragen zu stellen und den KlientInnen Raum zu geben. Und dann noch jede Menge Statistik. Denn Psychologie ist eine Wissenschaft. Um zu überprüfen, dass Methoden nicht nur “gefühlt” wirken, sondern tatsächlich Verbesserungen bestimmter Symptome bewirken, kommt man an statistischer Auswertung nicht vorbei.

Diese Studien zeigen, dass viele Methoden gut sind, aber es keinen “Heiligen Gral” gibt, der alle Probleme löst. Dafür ist die menschliche Psyche zu komplex.

Aus all diesen Gründen hört man Psychotherapeut*innen selten von ihrer Methodik schwärmen. Man hört sie eher sagen, dass sie sich für eine Richtung entschieden haben, dass sie überzeugt sind, dass sie ihnen liegt, gute Ergebnisse erzielt. Und das ist auch gut so, denn wenn es um meine mentale Gesundheit geht, möchte ich wirklich kein Marktgeschwätz hören!

Und doch erlebe ich zuletzt immer öfter, dass TherpeutInnen und KlientInnen ungewöhnlich ergriffen sind, wenn sie von einer bestimmten, neuen Therapierichtung sprechen. Plötzlich fallen Worte wie “Paradigmenwechsel”, “hat meine Haltung in der Therapie und privat zutiefst verändert”, “innerer Frieden”.

Gegenüber dem Ton auf Social Media, wo jeder zweite damit prahlt, deine Glaubenssätze zu “transformieren”, dir erst einredet, normale Emotionen wären ein Trauma, um es dann zu “heilen” (was ich, nebenbei bemerkt, ziemlich problematisch finde), mag das immer noch sehr unaufgeregt klingen. Aber für diese zurückhaltende Spezies sind solche Äußerungen bemerkenswert.

Darum möchte ich dir dieses Phänomen heute vorstellen. Ich bin sicher, dass du noch oft davon hören wirst.

In diesem Artikel geht es viel um den Gründer von Internal Family Systems. Da die überwiegende Mehrheit der Therapeut*innen in Deutschland weiblich sind, habe ich trotzdem diese Bilderstrecke ausgewählt (Quelle: Pexels).

Die Rede ist von IFS: Internal Family Systems

Ich schreibe hier nicht ganz neutral, denn auch ich selbst kann mich diesen Worten anschließen. Nach 15 Jahren, in denen ich klinische Psychologie, Verhaltenstherapie und Systemische Ansätze von der Pike auf gelernt habe, hat dieser Ansatz sich angefühlt wie ein “nach Hause kommen”. Meine Arbeit mit KlientInnen hat sich zutiefst verändert, weil ich nicht nur eine Methode, sondern eine Lebenseinstellung gefunden habe, nach der ich immer gesucht habe – obwohl ich bis dahin gar nicht sagen konnte, dass mir etwas fehlt oder was ich eigentlich suche.

Die Geburtstunde von IFS: Zuhören und Scheitern

Dr. Richard Schwartz, der IFS entwickelte, beschreibt seinen Aha-Moment folgendermaßen (hier kannst du seinen Bericht auf englisch lesen):

Ich arbeitete mit einer Patientin, die unter schweren Essstörungen litt. Ihr Untergewicht hatte bedrohliche Ausmaße angenommen. In den Sitzungen konnten wir uns auf Strategien einigen und sie wirkte motiviert. Doch je besser die Sitzungen aus meiner Sicht liefen, desto heftiger waren die Rückfälle zu Hause. Ich verspürte einen enorme Verantwortung, ihr zu helfen, doch wusste nicht, wie ich diese Rückfälle erklären oder gar stoppen konnte.

Sie beschrieb, dass sie verschiedene innere “Teile” in sich spürte: Einer, der leben und die Essstörung hinter sich lassen wollte. Und einer, der strafend und vernichtend war. Gemeinsam versuchten wir, den ersten Anteil zu stärken und den zweiten Anteil zu überzeugen und zurück zu drängen. Wir gaben ihm gute Gründe und klare Schritte an die Hand. Doch je stärker der erste Anteil wurde, desto stärker wurde auch der Gegenspieler.

Eines Tages, nach einem besonders heftigen Rückfall, konnte ich nicht mehr: Ich brach in Tränen aus und sagte zu dem Teil: “Ich weiß nicht mehr weiter und ich will dich nicht bekriegen.”

Als Psychologin bekomme ich hier immer eine Gänsehaut. Diese Situation ist wahrscheinlich für jeden ein Albtraum. Und vor dem Klienten in einer Notfallsituation emotional zu werden und nicht weiter zu wissen, möchte wohl niemand erleben. Und doch war es genau dieser “Tabubruch”, der schonungslos ehrliche, zwischenmenschliche Moment, der die Weichen völlig neu stellte.

Neustart mit beginner’s mind: IFS entsteht

Plötzlich änderte sich die Atmosphäre, etwas in der Patientin wurde weicher und dieser Anteil sagte: “Ich will dich auch nicht bekriegen. Ich kann auch nicht mehr.”

Völlig erstaunt und ohne jedes Konzept im Hinterkopf begann ich, diesem Anteil meine ehrlichen Fragen zu stellen. Ich wollte wirklich verstehen, warum er so extrem mit der Patientin umging.

Es zeigte sich: Je mehr wir diesem Anteil einfach zuhörten, seine Welt und Logik verstanden und damit AUFHÖRTEN, ihn zurück zu drängen, desto MILDER wurden paradoxer Weise die Rückfälle der Patientin. Nach und nach begann dieser Anteil, uns zu vertrauen. Wir konnten zu den tieferen Verletzungen und Lasten vordringen, die er in sich trug. Und er begann, diese Lasten loszulassen. Das war der Anfang eines langen, stetigen Heilungsweges für die Patientin.

All das entstand aus einem Moment, in dem sich ein Experte eingestehen musste, dass das, was er bisher versucht hatte, was er gelernt hatte, nicht funktioniert. Und völlig neu ansetzte.
Im asiatischen Raum wird der Zustand des “Nicht-Wissens” sehr viel mehr wertgeschätzt als in der westlichen Kultur. Während bei uns als Experte gilt, wer besonders viel Wissen hat, betrachten andere Kulturen dieses Vorwissen auch als hinderlich. Fakt ist: Je mehr wir glauben zu wissen, desto eher interpretieren wir unsere Annahmen in eine Situation hinein, anstatt wirklich zuzuhören und zu versuchen, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.

Richard Schwartz blieb gar nichts anderes übrig. Mit seinem Latein am Ende, begann er, seine Ideen davon, wie die Lösung für die Patienten aussehen solle, beiseite zu lassen und unvoreingenommen zuzuhören. Im Nachhinein bezeichnet er die Tatsache, dass er nicht weiter wusste, als das größte Geschenk. Er wäre sonst nie gezwungen gewesen, aus der Autorität seiner Rolle auszusteigen und komplett auf Augenhöhe mit den Patienten ihr Verständnis von ihrem Innenleben zu erforschen.

Daraus entwickelte sich eine neue Therapieform und letztlich eine ganze neue Sicht auf den Menschen, die erstaunlich und lebensbejahend ist. Und die vielen Menschen “aus der Seele spricht” wie keine andere Form.

Inneren Anteile: mit IFS konsequent zu Ende gedacht

IFS hat aus meiner Sicht drei Besonderheiten, die ich in dieser Serie vorstellen möchte.
Der erste besteht darin, dass Internal Family Systems den Ansatz von inneren Anteilen konsequent und bedingungslos wertschätzend zu Ende denkt. Darum geht es heute.

Immer mehr Patienten berichteten Schwartz von diesen inneren Anteilen. Zuerst befürchtete er, dass seine Patienten vielleicht kränker sein könnten, als zuerst gedacht. Doch dann stellte er fest, dass auch er selbst häufig verschiedene Ansichten oder gemischte Gefühle in sich wahrnehmen konnte. Da Schwartz als Familientherapeut ausgebildet war, begann er, mit den inneren Anteilen in der Therapie so zu arbeiten, wie er auch mit “echten” Familienmitgliedern arbeiten würde. Er hörte ihnen zu, begann zu verstehen, wie sie sich gegenseitig beeinflussten und gab ihnen Raum, zu sagen, was ihnen wichtig war. Dies führte immer wieder zu einer enormen Entlastung seiner Klienten.

So kristallisierte sich für Schwartz ein völlig neues Verständnis der menschlichen Psyche heraus: Wir haben nicht “einen” Verstand, “eine” Psyche. Wir kommen mit vielen inneren Anteilen auf die Welt. Wenn wir also viele innere Anteile in uns feststellen, bedeutet das nicht, dass wir wie eine zerbrochene Vase sind, die man wieder zu einem ganzen Teil zusammensetzen muss. Es geht vielmehr darum, diese Anteile zu sehen, ernst zu nehmen und ihnen zu helfen, sich gegenseitig zu unterstützen – anstatt sich zu blockieren, innere Widerstände zu unterdrücken oder “wegzutherapieren”.

Reflexionsfragen

  • Welche Situationen könnten davon profitieren, dass du dein Wissen loslässt und wie ein absoluter Anfänger auf die Dinge blickst?
  • Kannst du innere Anteile in dir feststellen?
  • Wie fühlt sich der Gedanke für dich an, dass du keinen der inneren Anteile unterdrücken musst?
  • Wie gefällt dir die Vorstellung, dass innere Blockaden durch das zuhören und wertschätzen selbst schwieriger Anteile überwunden werden können?

Für manche ist diese Vorstellung eine Erleichterung, für andere kommt eher Angst auf: Nehmen die ungünstigen Anteile dann nicht überhand? Wird mich das überwältigen, oder werde ich völlig unproduktiv?

Diese Fragen wurden natürlich auch für Richard Schwartz interessant. Und so kam es, dass er bei der Weiterentwicklung von IFS noch mehr Entdeckungen machte, welche die bisherige Sicht auf die Psyche komplett in Frage stellten.

In den kommenden Teilen dieser Serie erfahrt ihr mehr darüber!

Mehr über IFS: Hier weiterlesen

Was mich persönlich an IFS begeistert, kannst du in meiner Ode an die Komfortzone erfahren. Vielleicht interessiert dich auch, wie ich diese Methodik ins Coaching einfließen lasse.

  • Im 2. Teil der Serie erfahrt ihr mehr über die Besonderheiten der inneren Anteile. Welche typischen Anteile gibt es und welche Dynamiken spielen sich in jedem von uns ab?
  • In Teil 3 geht es um den Aspekt der Bedingungslosen Wertschätzung in IFS: Die Haltung, dass keiner unserer Anteile schlecht ist, egal wie destruktiv sie sich verhalten. Und welche tiefe Hoffnung in uns allen steckt.
  • In Teil 4 sprechen wir über Anteile, die im ersten Moment für uns unsichtbar sind. Und klären, warum sie genau deshalb viel Macht über uns haben.
  • In Teil 5 geht es darum, wie verletzte innere Anteile ihre Lasten ablegen und heilen können, damit mehr Selbst-Vertrauen, innere Ruhe, Kraft und Leichtigkeit in unser Leben zurückkehren.
  • In Teil 6 erkläre ich dir, warum IFS besonders für empathische und hochsensible Menschen besonders gut geeignet ist, warum man es nicht nur in der Therapie, sondern auch im Coaching einsetzen kann und wo du in Deutschland IFS Therapeuten finden kannst.

Weitere Quellen

Wenn du nicht warten möchtest, bis diese Serie vollständig erschienen ist, kannst du an diesen Stellen mehr erfahren:

Welche Fragen hast DU zur Arbeit mit inneren Anteilen?

Diese Serie ist noch im Entstehen. Hast du Fragen rund um IFS und das innere Familiensystem? Dann schick mir gerne eine Mail und ich lasse sie in die kommenden Artikel mit einfließen.

Therapeutin-IFS-beendet Sitzung
Damit ist die Sitzung für heute auch schon wieder vorbei, bis zum nächsten Mal!

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