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Sind hochsensible Menschen wirklich weniger belastbar?

Ab wann ist man überhaupt hochsensibel?
An welchen Merkmalen, Eigenschaften und Charakterzügen erkennt man hochsensible Menschen?
Sind sie wirklich weniger belastbar – oder brauchen sie nur etwas anderes?
Und gibt es eigentlich auch Abstufungen und Bezeichnungen für Menschen, die feinfühlig, aber nicht hochsensibel sind?

Rund ums Thema Sensibilität gibt es viele Fragen einige Mythen. Das ist kein Wunder, denn das Phänomen Hochsensibilität oder auch Hochsensitivität wird noch nicht lange wissenschaftlich erforscht.

Einen besonders hartnäckigen Mythos möchte ich heute aufgreifen: „Sind hochsensible Menschen wirklich weniger belastbar?

Dafür habe ich mir angeschaut, was die aktuelle Forschung dazu hergibt. Das überraschende Fazit meiner Recherche:
Erhalten besonders sensible Menschen die richtige Unterstützung, sind sie genauso gesund wie andere.
Langfristig sind sie dann sogar glücklicher und leben in stabileren Beziehungen. Sie berichten weniger depressive Symptome und stattdessen eine tiefe Zufriedenheit und Verbundenheit mit sich selbst, engen Freunden und der Natur.

Einen Link zum kostenlosen Selbsttest, mehr spannende Forschungsergebnisse und Quellen stelle ich euch in diesem Artikel vor.

Bin ich möglicherweise hochsensibel?

Viele Menschen spüren im Laufe ihres Lebens, dass sie „irgendwie anders“ sind als andere. Der Erkenntnis, dass man zu den immerhin 20-30% der Bevölkerung gehört, die als hochsensible oder auch hoch-sensitive Personen gelten, geht oft ein langer Prozess voraus. Viele sensible Menschen brauchen mehr Ruhe, fühlen sich schneller durch Geräusche, Gerüche oder emotionale Unstimmigkeiten belastet – und spüren, dass ihr Umfeld das oft nicht ganz nachvollziehen kann. So entsteht oft ein Selbstbild, dass man irgendwie „weniger belastbar“ sei. Doch stimmt das überhaupt?

Woran erkennt man Hochsensibilität?

Hochsensibilität ist eine Persönlichkeitseigenschaft – genau wie es Unterschiede gibt, ob jemand eher introvertiert oder gesellig ist, ob man besonders neugierig, gewissenhaft, oder eher vorsichtig ist, haben hochsensible Menschen besondere Merkmale und Eigenschaften. In der Psychologie bezeichnet man Menschen als besonders sensibel, auf die folgende Dinge zutreffen:

  • Sie nehmen Feinheiten in ihrer Umgebung deutlich wahr
  • Sie fühlen sich von Umgebungsreizen wie lauten Geräuschen, hellem Licht, kratzigen Stoffen oder starken Gerüchen schneller gestört
  • Sie verarbeiten Informationen tiefer und haben ein reiches Innenleben
  • Sie brauchen ausreichend Zeit um all diese Eindrücke zu verarbeiten und werden schneller nervös oder gereizt, wenn um sie herum vie los ist oder sie viele Dinge in kurzer Zeit erledigen müssen.
  • Musik und Kunst bewegt sie tief und sie bemerken und genießen feine Gerüche, Geschmäcke und Kunstwerke mehr als andere Menschen

Ob du selbst hochsensibel bist kannst du mit diesem kurzen kostenlosen, wissenschaftlich fundierten Selbsttest der Forschungsgruppe Sensitivity Research erfahren. Es gibt ihn für Kinder und Erwachsene.

Was ist mit Menschen, die sensibel, aber nicht hochsensibel sind?

Lange ging man davon aus, dass Sensibilität mehr oder weniger ein kontinuierliches Spektrum ist, auf dem man sich von “hoch” bis “niedrig” irgendwo einordnen kann. Je nachdem, wie stark man Umgebungsreize überhaupt wahrnimmt, wie sehr man darauf reagiert und wie tief man diese verarbeitet. 
Seit ca 1990 bürgerte sich durch die Forschung der Pionierin auf diesem Gebiet, Elaine Aron, das Wort „hochsensibel“ oder auch die Abkürzung HSP (für highly sensitive person) für die oberen 20% ein.
Ein Wort für „alle anderen“ gab es nicht wirklich.

Schwedische Psychologen führten die Beschreibungen “Orchideen” und “Löwenzahn” ein – für Kinder und Jugendliche, die entweder relativ robust sind und in fast allen Umgebungen gut gedeien, während die sensibleren Kinder einfühlsame Fürsorge und eine passende Umgebung brauchen, um aufzublühen. 

Auch wenn diese Metapher besonders leicht zu verstehen ist, gab es dafür aber bisher keine Forschung, die sie belegte!

Orchidee, Tulpe, Löwenzahn: 3 Sensibilitätstypen

Eine Studie von 2018 überprüfte über 3500 junge Menschen und ergab zur Überraschung der Autoren ziemlich eindeutig 3 Sensibilitäts-Gruppen:
Eine Gruppe, mit besonders hoher Sensibilität machte ca 30% der Befragten aus. Es fand sich ebenfalls eine Gruppe mit sehr niedriger Sensibilität, in die ebenfalls ca 30% der Stichprobe fielen.

Interessanterweise wiesen die verbleibenden 40% und damit die größte Gruppe (…) ein mittleres Sensibilitätsniveau auf. (…) In Anlehnung an die Blumenmetapher nannten wir diese Gruppe “Tulpen”, da sie nicht so robust wie Löwenzahn, aber auch nicht so zart wie Orchideen sind.“, schreibt Psychologe und Sensibilitäts-Experte Michael Pluess.

Er kommt zu dem Fazit, dass die meisten Menschen relativ empfindlich sind, da die Gruppen mit mittlerer und hoher Sensibilität zusammen 70 % der Bevölkerung ausmachen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass du entweder eine „Tulpe“ oder eine „Orchidee“ bist, ist also sehr hoch.

Sind sensible Menschen weniger belastbar?

In einer Umfrage in meinem Newsletter bekam die Antwort, dass viele sich von dem Mythos, feinfühlige Menschen „seien einfach nicht so belastbar“ besonders verunsichert und unter Druck gesetzt fühlen.

Darum habe ich besonders zu dieser Frage aktuelle Forschung zusammen getragen. Ich verlinke die Ergebnisse jeweils auf einen deutschen Artikel der wissenschaftlichen Plattform „Sensitivity Research„, die dazu einige Forschungsergebnisse veröffentlicht hat. Am Ende der verlinkten Artikel findet ihr jeweils auch die Original-Studien.

Weniger belastbar zu sein – was bedeutet das?
Ich habe mir angeschaut, welche Forschung es dazu gibt,

  • ob sensible Menschen öfter krank werden,
  • mehr psychische Symptome berichten oder
  • in Beziehungen unglücklicher sind.

Und ich habe einige überraschende Ergebnisse gefunden, die ich hier mit euch teilen möchte!

1. Sind hochsensible Menschen öfter krank?

Ob sensible Menschen weniger belastbar sind ist schwer zu beantworten. Es scheint vor allem eine Frage der Perspektive: Es wurde bisher fast ausschließlich über die möglichen Nachteile von Hochsensibilität geforscht. Wenn man nur nach Nachteilen sucht, findet man sie natürlich auch.
Und so ist es nicht überraschend, dass es Studien gibt, die darauf hindeuten, dass sensiblere Menschen mehr Krankheitssymptome berichten oder geringfügig schneller biologisch altern.

Was fehlt, sind Studien, die in größeren Gruppen untersuchen, ob feinfühlige Menschen wirklich objektiv öfter krank sind. Möglicherweise berichten sie die gleichen Symptome lediglich früher oder nehmen sie intensiver wahr als andere Personen.

Es gibt ebenfalls Studien, die keine Unterschiede in der körperlichen Gesundheit hochsensibler vs. weniger sensibler Menschen feststellen konnten. Die finden jedoch oft weniger Beachtung und werden seltener publiziert. (2, 3)

Viele Studien deuten darauf hin, dass das psychische Stresserleben eine wichtige Rolle dabei spielt, wie gesund sich sensible Menschen fühlen.

Es ist naheliegend, dass Menschen, die schnell überreizt sind und auch feine Körperreaktionen stärker spüren, dadurch auch schneller subjektiven und körperlichen Stress empfinden. Einige Studien deuten darauf hin, dass sie ihre Symptome nicht von ihrer Sensibilität selbst, sondern vom Stress verursacht werden.

  1. Fazit: Die Forschung dazu ist noch sehr dünn. Die ersten Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass hochsensible Menschen körperlich wahrscheinlich nicht gesünder oder kränker sind als andere auch.
    Sie nehmen Symptome und Stressoren allerdings stärker wahr und berichten deshalb erhöhten psychischen Stress.
    Dass Stress langfristig ungesund ist, ist kein Geheimnis. Als feinfühliger Menschen ist Stress aber nicht automatisch vorprogrammiert. In den Studien finden sich genug hochsensitive Menschen, die sich nicht gestresst fühlen – sie sind überwiegend genau so gesund wie die Vergleichsgruppe.
  2. Es scheint also für sensible Menschen besonders wichtig zu sein, gut mit ihrer Persönlichkeit umgehen zu können und Wege zu finden, möglichen Stress durch die feine Wahrnehmung wieder abzubauen. (Dazu unten mehr)

2. Sind hochsensible Menschen unglücklicher?

Die klare Antwort lautet auch hier wieder: Jein.
Einerseits berichten Menschen mit hoher Sensitivität öfter über belastende Erlebnisse im Alltag und leiden stärker unter negativen Erlebnissen. Beispiele dafür finden sich bei Kindern wie auch bei Erwachsenen:
So leiden sensible Kinder stärker unter negativer elterlicher Erziehung, oder haben Schwierigkeiten, sich in unruhigen Lern-Situationen zu konzentrieren.

Gleichzeitig zeigt sich jedoch auch: Wenn feinfühlige Personen den passenden Umgang mit ihrer Persönlichkeit und wirksame Unterstützung in ihrer Umwelt finden, profitieren sie davon stärker als andere. Hier können sie ihr Potenzial voll ausschöpfen.

So gibt es Hinweise darauf, dass hochbegabte Menschen häufiger über die positiven Seiten von Hochsensibilität verfügen. Sie profitieren von den Merkmalen der Hochsensibilität wie Offenheit für Ästhetik, Aufmerksamkeit für Details, die Fähigkeit außerhalb der vorgegebenen Bahnen zu denken, Neugier und Kreativität. Zudem haben hochbegabte Kinder und Erwachsene oft besonders effektive Bewältigungsmechanismen für den Umgang mit ihrer Sensibilität gefunden. Das ermöglicht es ihnen, ihre tiefe Verarbeitungsfähigkeit voll ausschöpfen können, ohne dabei von störenden Umweltreizen überwältigt zu werden.

Ist es ihnen möglich, viel Zeit in Stille und in der Natur zu verbringen, berichten sie sogar über außergewöhnlich hohes Wohlbefinden. Sie erleben eine tiefe Zufriedenheit, Verbundenheit mit sich, ihren nahen Freunden und der Natur.

In der Forschung gibt es beeindruckende Studien, die zeigen, dass hochsensible Menschen von passender Unterstützung deutlich profitieren. Wenn sie gute Strategien an die Hand bekommen, wenden sie sie langfristig an und verbessern dadurch ihre Zufriedenheit, verringern ihr Risiko für Depressionen oder Scheidung und sind besser gegen Mobbing geschützt.

Fazit: In einem negativen, belastenden Umfeld sind sensible Menschen öfter von Stress und negativen Emotionen betroffen. Doch sie profitieren auch besonders von positiver Unterstützung: Mit einem Unterstützenden Umgang scheint Sensibilität scheint sogar ein Schutzfakor zu sein.

Auf diese erstaunliche Erkenntnis möchte ich noch tiefer eingehen:

Überraschende Erkenntnis: Sensitivität als langfristiger Schutzfaktor

Zum Schluss eine gute NachrichtWenn hochsensible Menschen ein passendes Umfeld und Unterstützung bei der Stressbewältigung erleben, profitieren sie davon deutlich mehr als andere.

Besonders beeindruckend fand ich die Beobachtung des Londoner Professors Michael Pluess, der Experte für Hochsensibilität ist. 

Er führte an einer Schule für Mädchen ein 12-wöchiges Programm durch, das den Selbstwert stärken und die Jugendlichen vor Depression schützen sollte. Dabei gab er auch einen Fragebogen zur Sensibilität aus. 

Am Anfang der Studie gab es keinen Unterschied der Depressivität zwischen den hochsensiblen Mädchen und ihren Mitschülerinnen. Doch nach dem Programm, und auch noch ein ganzes Jahr später, hatten die hochsensiblen Mädchen deutlich WENIGER depressive Symptome, während sich die Werte der anderen Schülerinnen sogar minimal erhöhten.

Da ich ja nun weiß, dass ich eine Leserschaft habe, die gerne tiefer geht, teile auch die wissenschaftliche Grafik dazu: 

Die sensiblen Mädchen profitierten also besonders stark von diesem Programm und waren auch 12 Monate später unter den gleichen Umständen langfristig glücklicher, selbstbewusster und zuversichtlicher als ihre Mitschülerinnen.

Wirksame Unterstützung ist entscheidend

Ein ganz ähnliches Muster zeigte sich auch in einer großen Studie mit über 2000 Teilnehmern, bei der besonders sensible Jungen am stärksten von einem Anti-Mobbing-Programm an Schulen profitierten.

Auch bei Erwachsenen zeigt sich ein ähnliches Muster. Menschen mit angeborener erhöhter Sensibilität profitierten langfristig am meisten von einem fundierten Programm zur Verbesserung der Beziehungsqualität. Während bei allen anderen Gruppen die Werte in Beziehungszufriedenheit, Scheidungsrate und positiver Bindung nach Ende des Programms langsam wieder zurück gingen, stiegen sie bei den hochsensiblen Teilnehmern über die Jahre an (außer der Scheidungsrate, die geringer wurde).

Es scheint, dass sensible Personen die erworbenen Fähigkeiten auch noch lange Zeit nach Beendigung der jeweiligen Programme erfolgreich anwenden und deshalb besonders langfristig davon profitieren.

Fazit: Auf den Umgang mit der Sensibilität kommt es an

Die aktuelle Forschung ist noch jung und viele Fragen sind noch offen. Aber es zeigen sich zwei ermutigende Trends

  1. Sensibilität an sich kann in bestimmten Situationen belastend sein, besonders wenn die niedrige Reizschwelle Stress auslöst. Sensitivität macht aber nicht automatisch krank und ist keine Krankheit. Es ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die bedeutet, dass die Umwelt einen stärkeren Einfluss auf diese Personen hat als auf andere.
  2. Mit der richtigen Unterstützung blühen hochsensible Menschen regelrecht auf. Gewusst wie, können sie die positiven Seiten ihrer Feinfühligkeit, Kreativität und ihres tiefen und vernetzten Denkens nutzen. Davon profitieren sie oft noch Jahre nach den Programmen.
  3. Aus beiden Gründen ist es für sensible Menschen besonders sinnvoll und sehr lohnend, einen passenden Umgang mit Stress und ihrer Wahrnehmung zu finden.

Mit der passenden Unterstützung geht es leichter:

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Ein Gedanke zu „Sind hochsensible Menschen wirklich weniger belastbar?“

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